Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.4 Patricia Herberger 4

Das Institut, Stiftung Baukultur, hatte in mehreren Bundesländern „Preise zur Förderung der Baukultur“ ausgeschrieben. Formal war das Thema weit gefasst.

Essays, mediale Arbeiten mit dem Thema Bau, Pläne von noch zu Bauendem oder Dokumentationen von bereits Gebautem oder Bestehendem und Saniertem oder Arbeiten, die im weitesten Sinne mit Baukultur zu tun hatten, waren zugelassen. Tom hatte eine Serie von etwa dreißig, vierzig Radiobeiträgen eingeschickt, die Vermittlung von ‚Baukultur‘ in Weimar über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg. Er kam in die engere Auswahl. Er wurde zusammen mit der Programmchefin, der ein eigener Anteil an den Beiträgen unterstellt worden war, zur Bekanntgabe der Endausscheidung in ein nahegelegenes Schloss mit Hotelbetrieb und Tagungsräumen eingeladen. Werner war gebeten worden, die Eröffnungsrede zu halten. Sein alter Bekannter und Genosse, ein paar Semester über ihm. Werner war einer, der den Ton angegeben hatte. In der ‚Basisgruppe‘, ging es wild zu, Aufruhr, die Studenten waren ein Machtfaktor an den Universitäten. Werner hatte das Talent, schon nach wenigen Worten nur über die Verdichtung der Inhalte Aufmerksamkeit herzustellen. Seinen Redebeiträgen wurde zugehört. Die politischen Ziele alleine strukturierten die Arbeit der Gruppe. Später in Büros oder anderen organisierten Initiativen gelang es auch nicht im Kasernenhofton oder unter Androhung von Repressionen eine vergleichbare Konzentration, wie sie in diesen Besprechungen geherrscht hatte, herzustellen. Sie zogen sich oft bis tief in die Nacht hinein.

Szenen werden lebendig, wie in den Zeichensälen der Universität gegenseitig mit einem Blick über die Schultern die Entwürfe kritisiert wurden. Die Verhältnisse, auf die man außerhalb der Hochschule stieß, wurden Analysen unterzogen. Eine kaputte Umwelt erzeugt ein krankes Bewusstsein. Moderne Kinderzimmer können frühkindliche Störungen bewirken. Im gängigen Siedlungsbau, den man vorfand, gab es keine Filterzonen zwischen Privatem und Öffentlichem. Kein Verweilen zwischen der Welt der Arbeit, der Verwaltung und der Konsumprodukte auf der einen Seite und dem Fernsehapparat, den Filzpantoffeln und dem Flaschenbier auf der anderen. Keine Höfe, keine Vorgärten, keine Bürgersteige, keine Neugierde mehr aufeinander, nur begrünte, nach Vorschrift der Bauordnung errechnete Abstandsflächen.

Was chic war, was man gerade so trug, war vollkommen gleichgültig. Die Verbindung der Nachbarschaft untereinander zählte, soziale Durchmischung, Zugang zur Öffentlichkeit, urbane Qualitäten. Mitscherlich, ‚die Unwirtlichkeit unserer Städte‘ wurde gelesen. Es galt kein ‚gut‘ und ‚schlecht‘ sondern ‚reaktionär‘ und ‚fortschrittlich‘, oder ‚kleinbürgerlich‘ und ‚revolutionär‘.

Werner steht am Rednerpult und skizziert einen Abriss der Internationalen Bauausstellungen seit Anfang des 20. Jahrhunderts, Darmstadts Mathildenhöhe, die Weißenhofsiedlung in Stuttgart, die IBAs in Westberlin. Er schaut, während er redet, öfter zu Tom rüber. Am Rande streut er Bemerkungen zu gängigen Geschmacksmustern ein. Die manierierten Details der Spätmoderne, die Postmoderne mit ihren lustigen Zitaten, die Nostalgiewelle, in der der Jugendstil, um seinen Unterhaltungswert zu betonen, quietschbunt gestrichen daher kommt. Werner deutet im Mundwinkel an, dass er Toms Lachen wahrnimmt.

Er ist aus dem Architekturstudium mit einer Promotion über Stadtentwicklung gekommen und hat sich damit, um sich Fragen der Ungleichheiten in sozialen Strukturen zu widmen, den Soziologen als Assistent angeschlossen. Gleichzeitig hat er sich einer Betrachtungsweise aus ganz anderem Blickwinkel und mit ganz anderen Mitteln gewidmet. Er hat die Veränderungen städtischer Räume mit Zeichenstift und Pinsel nachvollzogen und dargestellt. In dieser Disziplin hat er auch eine Professur für Zeichnen und Malen übernommen.

Heute hat er wieder beides miteinander verbunden. Zusammen mit Günter Behnisch, dem alten Professor für Baukonstruktion und Architekt der Münchner Olympia-Bauten hat er sich mit dem Entwurf und dem Bau der ‚Akademie der Künste‘ im Zentrum Berlins, ‚Unter den Linden‘ der Wirklichkeit des Bauens gestellt. Er führt einen Lehrstuhl für Geschichte und Theorie der Architektur. Seine Vorlesungen, heißt es, seien stets bis auf den letzten Platz besetzt.

Mitten im Vortrag, Werner spricht, betritt Patricia Herberger von der Bühnenseite her den Saal. Sie lässt ihren Blick schweifen, entdeckt Tom, signalisiert Erkennen und steuert, alle Blicke auf sich gezogen, auf ihn zu. Eine Bewegung, als werfe sie ihre Haare zurück scheitert an der Konsistenz der roten Wattewolke um ihr Haupt. Es ist ein Rubinton, kein Henna. Sie riecht auch nicht wie die Genossinnen Mitte der Siebziger Jahre nach Patschuli. Das Bild einer Wohngemeinschafts-Party in Frankfurt-Bockenheim nimmt Konturen an. Alle drei Genossinnen in Daniel Cohn-Bendits Begleitung hatten Henna rote Haare, zwei von ihnen Kräuselhaare, afromäßig auftoupiert. Ohne sich für Leute oder Joints oder sonst irgendwas zu interessieren, hatte Daniel Cohn Bendit, oder ‚Dannie‘, wie er genannt wurde, mit geübtem Blick in der Küche eine ‚trinkbare‘ Flasche Rotwein erspäht und sich mit ihr in ein Zimmer zurückgezogen. Durch den Türspalt wurde kurz das Bild eines frisch bezogenen Bettes sichtbar, vor der Tür das Papp-Schild: ‚Bitte draußen bleiben!’. Der Auftritt der drei Frauen dominierte die Partyszene. Genau die Typen, nach denen sich alle umdrehten. Unterschriften gegen ‚Isolationshaft für Genossen in Preungesheim’ sollten gesammelt werden und zu einer Demonstration am folgenden Vormittag wurde aufgefordert. Von Werner in dieser Umgebung hat Tom kein klares Bild mehr. Je länger er darüber nachdenkt, desto unsicherer wird er, Werner überhaupt auf dieser Party erlebt zu haben. /

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