Im Rahmen einer Förderung, wie sie auch Tom erhielt, wurde ein Journalist eingestellt. Er hatte sich schon bei etlichen Sendern unter anderem beim DLF (Deutschlandfunk) als freier Mitarbeiter verdingt.
Die katholische Theologie war das Gebiet, aus dem er kam. Er beherrschte sowohl Griechisch und Lateinisch als auch Englisch und Italienisch. Mit seiner russischen Frau sprach er Russisch. Er hatte bei den Christdemokraten Ambitionen auf eine politische Karriere gezeigt und wieder aufgegeben.
Er begann etwa zur selben Zeit wie Pat. Zu einer seiner ersten Arbeiten im Radio gehörte die Rezension einer Ausstellung über das 16. Jahrhundert, die Zeit der Hexenverbrennungen. Martin Luther war einer im Kreis der Anhänger und Verfechter dieser Art des Strafvollzugs. Hörer protestierten in der shout box und in Emails. Sich über Martin Luther aufzuregen, sei in ähnlichem Maße ahistorisch wie der Vorwurf gegen den angeblichen Antisemitismus des Reformators, empörte sich eine Protestantin. Martin Luther hätte einen damals verbreiteten Antijudaismus, weit entfernt von dem, was später den rassistischen Antisemitismus der Nazis ausmachte, vertreten. Ähnlich verhielte es sich mit der Hexenverfolgung, die einer gängigen Rechtsauffassung, wie sie an den Jura-Fakultäten der Universitäten gelehrt wurde, entsprochen hätte. Der Neue freute sich über die Resonanz. Den anschließenden Streit über seinen Beitrag gab er zurück in die Diskussion der Hörer.
Dieser Kollege hatte auf einer abendlichen Veranstaltung einer argentinischen Tango-Tanzschule gegen eine geringe Aufwandsentschädigung eine Lob- und Begrüßungsrede gehalten. Er wurde von der Programmchefin aus unerfindlichen Gründen mündlich abgemahnt. Nach drei Monaten, dem Ende seiner Probezeit, schob sie diese Gefälligkeitsleistung vor, um seine Übernahme abzulehnen. Er nahm es in aller Form zur Kenntnis und kam weiterhin in die Redaktion.
„Alle mal herhören! Der Neue hier …“, der Manager zeigte auf den Platz, auf dem der Neue oft saß. Er winkte, als wäre auf seinen Hinweis Ablehnung laut geworden, beschwichtigend ab, „ich weiß, ich weiß, wir haben da leider nichts machen können.“, er grinste breit, „ … oder genauer: wir haben es versiebt, ihn rechtzeitig aus der Probezeit zu entlassen. Er hat sich einen Anwalt vom Journalistenverband genommen und jetzt haben wir ihn mindestens noch ein Jahr an der Backe. Wenn sich nur wenige in der Redaktion aufhalten sollten und er ist noch da, bitte ich jeden Einzelnen von euch ein bisschen hinzugucken, was er macht!“
Einer rief, „Was soll denn das heißen?“
„Na, wenn der zum Beispiel telefoniert, einmal hinzuhören, dass der nicht stundenlang mit Russland telefoniert. Merkt man ja, wenn einer russisch spricht. Also, ich wollte das nur noch einmal allen sagen: Behaltet den ein bisschen im Auge!“ Im täglichen Betrieb hatten die Mitarbeiter eigene Codes für den Computerbetrieb. Die meisten liefen als Praktikanten. Sie waren von Redprak 01 (Redaktionspraktikant 01) an aufwärts bis zu Redprak 09 durchnummeriert. So eine Codenummer bekam auch der Neue verpasst. Die Eingangstür zu dem Sendegebäude wurde mit ‚fingerkey’ geöffnet. Man steckte die Spitze seines Zeigefingers in das Loch einer kleinen Scanner-Vorrichtung, woraufhin sich die Tür öffnete. Dem neuen Kollegen, der als freier Journalist bereits Interviews, wie, zum Beispiel, mit Hans Dietrich Genscher in dessen Zeit als Außenminister, geführt hatte, wurde die automatische Erkennung durch diese Technik vorenthalten. Er musste stets klingeln und bekam von einem aus der Redaktion geöffnet. Auf die Aufforderung hin, er solle eine Registrierung verlangen, das sei doch sein Recht, erwiderte er: „Ist mir lieber so, sonst kommen die noch auf die Idee, ich komme in meiner Freizeit hierher und nehme irgendwas mit. Man weiß ja nie.“