Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.2 Ottmar Schmieling Kommunikation 39

Schräge Gestalten, alleine und in Gruppen, keiner, den Tom erkannt hätte, pilgerten am frühen Abend in das Sendegebäude. Im Vorbeigehen klickte es bei Tom. Rosa hatte angerufen, sie hätten jetzt doch endlich ein Konzert im Sendesaal bekommen.

Er hatte ihn gebeten, sich das unbedingt anzuhören. Rosa war Schlagzeuger in einem Punk-Trio, Gitarre, Schlagzeug, Gesang. Sie nannten sich ‚Bloodacker’. Tom hatte mit seiner Bemerkung Stunk ausgelöst, „Man kann doch nicht, ohne in Verdacht zu geraten, aus englisch Blut und deutsch Acker diesen Blut-und-Boden-Verschnitt-Namen für ausgerechnet eine Punk-Band machen!“

Tom hatte gerade kürzlich ein Radio-Interview mit Rosa gemacht. Rosa war Scherenschleifer, mittlerweile sogar Chef der Firma ‚Rosanowski – Instrumentenschleiferei’. Scheren zu schleifen, war in der DDR ein ernst zu nehmendes Fachhandwerk gewesen und wird auch heute noch weiterhin so betrieben. Vom Skalpell bis zur Kettensäge werden Instrumente fachmännisch geschärft.

An der Tür ein Plakat – ‚Bloodacker’ in concert. Rosa war stur geblieben. Dazu war Bloodacker auch noch in einer Typographik wie ‚Lonsdale‘ gehalten. Bei Neonazis war es eine beliebte Textilmarke. In dem Namenszug folgt ‚… nsda …’ aufeinander. Bei geschickter Faltung einer Jacke über einem Lonsdale Sweater konnte man nur ‚nsda’ lesen, was die Folgerung, ein ‚p’ sei nur verdeckt, zuließ.

Tom nahm die Gelegenheit für einen Punk-Abend wahr. Unter den Leuten im Sendesaal kaum Bekannte, Bierflaschen wurden geschlenkert, Zigaretten qualmten. Tom war eigentlich dafür, dass geraucht werden durfte. Hier, ohne einen Aschenbecher weit und breit und dem empfindlichen Parkettboden im Sendesaal, fühlte er sich in eine Hausherrenrolle gedrängt und zögerte. Vorne war’s kurz davor, loszugehen. Die Gitarre und das Schlagzeug probierten schon ansatzweise. Der Sänger, klopfte auf sein Mikrofon, ließ den Blick schweifen. Er entdeckte einen in der ersten Reihe, fixierte ihn und brüllte „Raus!“  

Ein Punk in Lederjacke und Ketten sprang auf und setzte dagegen. Es ging um ‚total voll’, und ‚mir reicht’s’. Der Sänger langte zu und der Angegriffene wehrte sich. Tom nahm es als Vorwand, wieder nach draußen zu gehen. Er zog die Tür zu, setzte sich auf eine Bank, zündete sich eine an und entspannte. Zwei vierbeinige Kreaturen tummelten sich. Groß wie Ponys und, soweit Tom sehen konnte, waren sie beide mit dem gleichen Muster versehen. Hinter dem Schattenriss der Häuserreihe fiel das Mondlicht auf das Gestrüpp eines Hinterhofs und tauchte das Fell der Tiere in einen Schimmer. Streifen, Tom war sich fast sicher, gestreifte Felle, Zebras …

Die Eingangstür sprang auf. Der Sänger und die Kettenlederjacke hatten sich im Clinch. Der Provo-Punk schlug mit dem Unterarm. Sein Ellenbogen hing in einem Haltegriff des Sängers fest. Er schlug in kurzer Frequenz. Sie zogen Anhänger hinter sich her. „Das könnt ihr hier direkt vor der Tür nicht bringen. Komm, geht da rüber!“

Vollmond, unbedeckter Himmel. Sie bewegten sich, gefolgt von einer wachsenden Anzahl Teilnehmer auf die freie Lichtung im Hinterhof zu. Das Auftreten war eingedenk einer Schlägerei, diskret zu nennen.

Zehn, fünfzehn Darsteller waren zusammen gekommen. Alle waren schlank und schwarz gekleidet. Sie hatten kurze oder kahl geschorene Haupthaare. Aus dem anfänglichen Pas de deux wurde eine Improvisation der gesamten Compagnie. Tom konnte aus dem Abstand von seiner Bank aus die in das matte Silber des Mondlichts getauchte Performance verfolgen. Ein mit plötzlichen Bewegungen versetztes Rempeln, ein Sich-in-und-umeinander-winden. Kurz gestöhntes: „Warte nur!“, „Willste was?“ „Halt die Fresse!“, „Leck mich!“. Nach seiner Zigarette war es auch schon vorbei. Alle gingen wieder hinein. Keiner blutete, keiner hatte sich in einer Art, dass es die Symmetrie seiner Laufbewegungen gestört hätte, verletzt. Ein paar schnauften. Tom fiel auf, dass er nicht mehr auf die Tiere geachtet hatte. Er schloss hinter sich die Tür. Das Konzert begann.

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