Die Witwe des verstorbenen Pfarrers, die nicht gekommen war, hatte im Vormittagsprogramm in einem vorbereitenden Gesprächsbeitrag mit ihr die Zeit zwischen Mauerfall und Einigungsvertrag mit dem Satz charakterisiert: „Wir haben ein Stück Himmel gesehen.“
Tom stellte das Zitat dem zweiten Drittel der Diskussion voran, und wiederholte die Fragen:
Welche Entwürfe waren mit der Wende verbunden, welche Illusionen wurden 89-90 geträumt?
War es eine friedliche Revolution oder war es eine kapitalistische Konterrevolution?
War der Einigungsvertrag ein Vertrag auf Augenhöhe?
– Wir wollten eigentlich einen anderen Sozialismus. Hätten wir den allerdings gekriegt, wäre es nicht zur Einheit gekommen.
– Die Illusion einen demokratischen Sozialismus aufzubauen, war nach 40 Jahren dahin. Aber wir hätten gerne wenigstens eine neue Verfassung, eine neue Nationalhymne, einen neuen gemeinsamen Feiertag gehabt. Nichts davon, stattdessen Währungsunion! Deutschlands Vereinigung wird erst vollendet sein, wenn der letzte Ossi aus dem Grundbuch gestrichen ist.
– An runden Tischen und in Arbeitsgruppen hat es zu allem Möglichen, wie Bildung, Verkehr, Kultur, Sicherheit, Wirtschaftsentwicklung Diskussionen und Beschlüsse gegeben. Das war vor dem Mauerfall. Danach gab es eigentlich nur noch Erklärungen aus dem Westen, ‚Lasst mal, wir wissen wie man das macht, wir erklären es euch dann!’
– Wenn man wirklich will, kann man das alles auch heute machen. Man muss es nur machen! Wenn heute nichts mehr passiert, ist man selber schuld.
– in so einer Arbeitsgruppe vor dem Fall der Mauer, kam die Frage auf, ‚Wird der Sonnabend im Schulbetrieb arbeitsfrei? Die Mehrheit war dafür. Also haben wir ’s gemacht. Von da an war der Sonnabend frei. Im Dezember 89 hat die amtierende Kultusministerin, Margot Honecker, ihre strikte Ablehnung in einem Schreiben an den Bürgermeister ausgesprochen. Ihrer Amtshandlung haftete etwas Tragikomisches an, da ihre Abmahnung den Bürgermeister erst einen Tag, nachdem sie selbst bereits abgesetzt war, erreichte.
– In der SED kam keine Diskussion auf. Die Älteren beharrten auf Konterrevolution und wussten nicht weiter und die Jüngeren meinten, man müsse sich in die Volksbewegungen einreihen und die Diskussionen mitführen. Im März gab es die erste ‚Rosa Luxemburg – Ehrung’. Aus Berlin kam die Direktive: ‚Löst diese Partei auf!’
– Die SED hat nie freie Entscheidungen getroffen. Die waren in jeder Frage Moskau hörig. Das war eine Satellitenpartei. Modrow war der erste, der Verantwortung übernommen hat.
– Alles ist friedlich verlaufen. Das muss hoch eingeschätzt werden. Der Erste Kreissekretär (in Weimar) hat nach den Demonstrationen und Unruhen in Leipzig gesagt: ‚Wenn hier so etwas vorkommen sollte, dann ist mit allen Mitteln dagegen vorzugehen!’ Einer fragte: ‚Was heißt ‚mit allen Mitteln?’ Er bekam die Antwort ins Gesicht gebrüllt: ‚Mit allen Mitteln heißt mit allen Mitteln.’ Die Demonstranten, hier, die um diese Spannungen wussten, stellten deshalb Kerzen vor das Polizeipräsidium.
– Wir waren so lieb!