Ottmar Schmieling war der Einzige, der den Begriff ‚Unrechtsstaat’ gebrauchte. Tom ging nicht darauf ein. Der Begriff war, wie er fand, zweifelhaft. Ein Rechtsstaat ist kein Staat, wie man meinen könnte, der immer im Recht handelt.
Im Gegenteil, dass sich auch der Staat im Unrecht befinden kann, ist ein rechtsstaatliches Prinzip, wurde abends im Nero gespottet. Das Recht des Einzelnen, den Staat vor Gericht zu ziehen, des Unrechts zu bezichtigen, zu verklagen und maßregeln lassen zu können, ist ja gerade das, was einen demokratischen Staat mit einer demokratischen Verfassung ausmacht.
Vielleicht war Tom auch einfach nur eingeschnappt. Er hatte Ottmar Schmieling gebeten, im übrigen Programm mit vorbereiteten Jingles Werbung für die Podiumsdiskussion zu veranlassen. Er hatte nichts gemacht. Zu der Veranstaltung stellte er seinen Wartburg, den er einmal als Gag für eine Performance gekauft hatte, quer vor den Eingang. In den Autofenstern hatte er seine damalige Aktion in Texttafeln und Fotos dokumentiert. Darunter ein überteuertes Preisangebot für das Auto. Er fing die Diskussionsteilnehmer am Eingang ab und führte seinen Gebrauchtwagen vor.
Tennessee und die übrige Redaktion hatten von der Veranstaltung keine Notiz genommen. Nur zwei Praktikantinnen waren gekommen. Der Manager war zu Beginn im Hintergrund herum gewimmelt und dann wieder verschwunden. Dem Techniker hatte Tom mit der Veranstaltung einen zusätzlichen Einsatz an einem Feiertag verpasst. Er maulte. In der Veranstaltung regelte er an seinem Mischpult mit dem Rücken zum Podium und verließ den Saal. Mehrere Wortbeiträge vom Podium waren übersteuert. Er stürzte immer wieder viel zu spät, um noch irgendetwas retten zu können, in den Saal. Ottmar Schmieling war immerhin erschienen. Am Ende der Veranstaltung kam er auf Tom zu. Er wiederholte ein Kompliment, das Tom ihm gegenüber nach einem Interview mit der Ministerpräsidentin gemacht hatte, ‚Respekt, Kollege!’