Vor dem Sende-Gebäude ist ein Stand aufgestellt. Edelstahlelemente, Kunststoffpaneele, synthetische Textilien. Einfache Steckverbindungen, eine Konstruktion, die, wenn man ’s erst mal im Griff hat, in etwa sechseinhalb Minuten aufgebaut werden kann.
‚amnesty international‘ wendet sich an die Passanten. Junge Leute wimmeln herum. Tom steht auf dem Balkon. Er bleibt immer wieder an dem Lachen einer etwa Zwanzigjährigen hängen. Er hatte ‚amnesty international‘ in London kennengelernt. Ein vollbärtiger Langhaariger hatte ihn und seine Freunde in eine Mietwohnung in der ersten Etage eines Wohnhauses geführt. Sie war mit aus Dachlatten genagelten Bücherregalen, wie man sie damals öfter in Wohngemeinschaften von ‚Politischen‘ hat sehen können, ausgestattet. Er hatte den Kampf gegen die Folter am Beispiel Francos in Spanien und Schah Reza Pahlavis in Persien erläutert. Die Einflüsse von ‚amnesty international’ reichten, in den wenigen Jahren seit Anfang der Sechziger bereits weit. Er hatte hingewiesen, an welchen Ecken der Welt dringend Unterstützung auch in finanzieller Hinsicht geleistet werden müsste. Er hatte überzeugt. Keiner hatte genug, um etwas spenden zu können. Es war nicht sein Hauptanliegen. Beim Abschied hatte er von den Anwesenden, sich eingeschlossen, von „Wir“ gesprochen und hatte das Verständnis, auf einer Seite zu stehen und einen Schritt voran gekommen zu sein, vermittelt.
Tom nimmt sein Aufnahmegerät. Kaum tritt er vor das Gebäude, kommt das junge Mädchen mit den Grübchen neben den Mundwinkeln auf ihn zu. Begrüßung von der Seite, sie heiße Christine, wie denn bitte sein Name sei. Sie schließt die Frage, ob er ‚amnesty international’ kenne, an. Sie trägt wie die vier anderen an dem Stand eine hellblaue Jacke. Seitlich in Hüfthöhe ein unauffälliges Logo ‚Dialogue Direct‘. Sie bittet, mit an den Stand zu kommen, erläutert, was ‚amnesty international’ sei, blättert gleichzeitig laminierte Seiten in Ringheftern auf Stehpulten um. Sie fordert zu einer Spende auf und bezaubert mit ihrem Lächeln. Tom gibt sich als Radiomann zu erkennen. Er bittet sie, einen Beitrag mit einem Profil über sie und die Aktion von ‚amnesty international’ machen zu dürfen. Sie zögert. Sie beide könnten zusammen über das Stadtradio eine größere Öffentlichkeit erreichen, als sie alleine an ihrem Stand. Wer weiß, welche Resonanz ein Radiobeitrag erzeugen könne! Sie wollen doch aufklären und außerdem wirke sich das natürlich auch auf die Spendenbereitschaft aus. Sie willigt ein. Tom zückt das Mikrofon.
Sie arbeite für ‚Dialogue Direct‘, sie komme aus Stuttgart, sie werde gut bezahlt. Wie man einen Passanten anspreche, habe sie trainiert. Einer von denen habe auch interessante Sachen über ‚amnesty international‘ erzählt. Für einen Buchclub, zugegeben, würde sie dasselbe machen. Sie brauche im Moment dringend Geld. Sie sei aber froh, dass sie für ‚amnesty international’, also mehr für so was Gutes eingesetzt worden sei. Nein, über Syrien könne sie nichts sagen, über Libyen auch nicht. Nach dem Gespräch fragt sie, was Tom damit vorhabe. Er werde, was geredet worden ist, zurechtschneiden.
„Hier in dem Gebäude?“
Tom bestätigt und deutet auf das Stadtradio-Tempelchen.
„Dauert das noch?“
Ja, das werde erst morgen gesendet. Er sei hier, ihrem Stand gegenüber, zu erreichen.
Wieder oben angekommen, Tom hat den Telefonhörer in der Hand, kommt einer rein. Er sei von ‚Dialogue Direct‘. Er habe gehört, Tom suche einen Interviewpartner von ‚amnesty international‘ „Kein Problem, kommen Sie bitte mit, ich mache Sie bekannt.“
Er lässt einfließen, das, was Tom mit dem Mädchen besprochen habe, wolle er ihn bitten zu löschen. Unten vor der Tür, deutet er auf einen jungen Mann am Stand, das sei der gefragte Mann. Er bittet Tom zu warten, er gebe Bescheid, „Der kommt dann.“ Tom geht auf ihn zu. Er beschwert sich über das ausschließlich auf Spendensammeln zugespitzte Auftreten von ‚amnesty international’. Der Vertreter, Geisteswissenschaftler, Göttingen, meint, nein, mitschneiden könne Tom nicht. Er sei bei ‚amnesty international‘ fest angestellt. Keine Interviews zu geben, sei Bestandteil seines Vertrags. Er habe da einen Flyer, in dem ‚alles‘ drin stehe und außerdem könne er Tom ohne weiteres eine Telefonnummer von einem ‚amnesty-international’–Vorstandsmitglied in Göttingen geben. Mit dem könne Tom schon bald ein Telefoninterview führen, oder eventuell sogar binnen Monatsfrist eines hier vor Ort verabreden. Auf dem Flyer werden Folter, Todesstrafe, politischer Mord, Rassismus, sexuelle Unterdrückung in Ländern, sie befinden sich fast alle in Äquatornähe, angeprangert.