Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.1 Gründer (9)

Die neue Wohnung hatte eine Nummer an der Tür. Kehr- und Putzmaschinen wurden wie in einem Verwaltungs- oder Krankenhausbau über die Flure gezogen. Die Großtafelbauweise war so weit optimiert, dass nur dünne Wandscheiben aus Beton montiert worden waren. Sie gaben mit den Kräften von oben nach unten auch den Trittschall in alle Richtungen weiter. Raumschall wurde soweit gedämmt, dass man nicht verstehen konnte, was, nur dass auf der anderen Seite gesprochen wurde.

Ich lernte meine Nachbarin kennen. Sie lächelte. Wenig später klingelte sie, sie wollte sich verabschieden, sie zöge um. Ich könnte sie ja einmal anrufen. Ein junger Mann folgte. Er hatte einen CD-Spieler. „Duff tsaa – duff tsaa – duff tsaa“. Das Tempo wechselte. Immer die gleiche Lautstärke.

Er hat keine Lust, die Treppe zu putzen, er kommt gerne in militärischen Klamotten, Camouflage in Sommer- und in Wintervariante, daher. Auch meine Generation hat militärisches Textildesign getragen. Ich selbst hatte einen Schlafsack in ,Nato-olive’ gehabt. Parker, Umhängetaschen waren so gehalten. Selbst Tennessee, der Chefredakteur, trägt als Punk-Standard militärische Springerstiefel. Und von seiner Frisur würde im Ernstfall kein Härchen unter dem Helm heraus gucken.

Ich sprach das Treppenputzen an, ich klingelte morgens um sechs Uhr, beschwerte mich, dass er voll aufgedreht hatte. Er entschuldigte sich, sagte, es würde nicht mehr vorkommen.

Eines Nachmittags ein Gespräch von Balkon zu Balkon. Die Fußbodenplatten der Balkone kragen im Erdgeschoss etwa einen Meter über dem Außenniveau. Ich rauche. Auch er steckt sich eine an. Er scheint nur auf dem Balkon zu rauchen. Seine Musik ist aufgedreht. Die Balkons liegen dicht nebeneinander. Beide Balkontüren stehen offen. Ich kann Musik und Text wahrnehmen. Männer brüllen zu Techno-Rhythmus. Unvermittelt ein Sprecher: „Und jetzt hören wir die Stimme unseres Führers Adolf Hitler.“ Es folgen Ausschnitte aus einer Originalrede Hitlers. Ich sehe, wie er beobachtet, wie ich dem, was er aufgelegt hat, zuhöre.

Bist Du Neonazi?“

Ähh“, er duckt sich in Zeitlupe mit einer Halbdrehung ab, um sich nach einigem Zögern auf demselben Weg umgekehrt wieder aufzurichten. „Aber es ist die Wahrheit.“

Er hält sein Gesicht abgewandt. Hinter ihm treten zwei weitere junge Männer auf den Balkon, ungefähr sein Alter, ebenfalls Millimeterfrisuren, T-shirts, Jeans in Camouflage.

Ihr auch?“ Sie nicken.

Warum?“

Der Nachbar übernimmt: „Ich bin arbeitslos. Also, weil es wirklich nichts gibt. Hier sind alle arbeitslos.“ Er blickt im Halbkreis die umliegenden Wohnhäuser entlang, schwenkt den Arm hinterher. „Im Westen wär’ das was anderes. Aber hier! Und dazu auch noch die Ausländer überall. So wird das nichts. Da kannste ewig warten.“

Die andern beiden nicken.

Wir brauchen die Ausländer.“, entgegne ich, „Die sorgen dafür, dass die Maschinen nicht stillstehen. Das ist wichtig für alle. Sogar für die, die, wie übrigens auch ich, arbeitslos sind.“

Wie soll ’n das gehen?“

Das gab es schon Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Da kamen sie aus Polen und sonst wo her. Man erkennt das heute noch an Schimanski, Kowalski, Golodkowski und solchen Namen.“

Einer der beiden Hinzugekommenen gibt zu bedenken: „Also das glaub’ ich jetzt aber nicht.“

Ich setze nach: „Auf deinem Klingelschild steht Salak!“

Ja, und?“

Du weißt, dass das ein tschechischer Namen ist?“

Nein, nein! Salak mit ck vielleicht. Jedenfalls Salak, so wie ich, das ist deutsch.“

Die anderen beiden können ein gehässiges Grinsen nicht verbergen.

Zurück in der Wohnung kommt es mir vor, als würden sie ihre Techno-Fascho-Musik ein wenig runter drehen.

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