Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.1 Gründer (5)

Lohn am Ersten zu überweisen, war nicht selbstverständlich. Man musste stets noch einmal zumindest die Sekretärin des Managers darauf hinweisen, dass nichts angekommen sei. Papier, eine Schere, einen Klammeraffen, um Skripte zu heften, bekam man hier ausgehändigt. Ein Aufnahmegerät, das Basisinstrument der Radioarbeit, ausgehändigt zu bekommen, erforderte längere Verhandlungen.

Die Räume, wie Redaktionsraum, Schneideraum und Studio hatten sowohl separate Zugänge als auch Verbindung untereinander. Darüber spann sich ein System aus Schlüsseln. Zutritt zu allen Räumen erforderte drei Basisschlüssel, die keiner gleichzeitig hatte. Man musste entweder wissen, oder durch telefonische Recherche herausfinden, wer gerade welchen Schlüssel hatte. Ein Handy, um Treffpunkte und Übergaben einzuleiten war unabdingbar. 

Die Mitarbeiter und Stadtradio-Begeisterten, bunte Vögel aus allen Bereichen, engagierten sich freiwillig. Neben ihnen arbeiteten Praktikanten und Festangestellte. Die Angestellten hatten Monatslöhne, ausnahmslos unter dem, was als Grundsicherung galt. Sie mussten über das Jobcenter, wie sich das Arbeitsamt nannte, mit etlichen Anträgen, Nachweisen und Beglaubigungen aufstocken lassen und, was vom Amt kontrolliert wurde, regelmäßig Bewerbungen für ,richtige‘ Arbeitsstellen verschicken. Mit dieser Gruppe pflegte der Manager eigene Umgangsformen. Fragen wurden mit Gegenfragen beantwortet. „Wie oft soll ich euch denn noch sagen …?“ „Gerade letzte Woche habe ich dreimal nachfragen müssen. Wisst Ihr eigentlich was so ein Gerät kostet?“ „So was kann man euch doch gar nicht geben. Das kommt doch weg …“ usw. Man wurde als Einzelner grundsätzlich in der 2. Person Plural angeredet. Wenn man dringend eine Auskunft oder eine Entscheidung wollte, so war der Regelfall, dass er den Kopf schüttelte. „Ihr kommt immer im passendsten Augenblick. Heute nicht mehr!“, er deutete auf mehrere Schichten Papier vor sich. „Bitte, morgen wieder!“ Er leitete Förderungen und Praktikantenvermittlungen durch die Arbeitsagentur in die Wege. Im Übrigen war er Sozialpädagoge.

Er hatte sich ein geschäftliches Gebilde, das irgendwelche sozialpädagogischen Serviceleistungen erbrachte, gebaut. Er nannte seine Aufträge Projekte. Er machte die Finanzen des Radios und seine eigenen. Wer dabei welchen Betrag abbekam, wusste keiner so genau. Redakteure und Radiomacher gab es viele. Manager dagegen gab es weit und breit nur diesen einen einzigen.

Über ihn liefen die Bewerbungen. Er pflegte das Ritual. Meistens ging es um Praktikum. Zunächst ließ er die Bewerber warten. Er formulierte, verwarf, telefonierte, kritzelte Notizen auf Zettel. Auf seinem Tisch lagen in einem Schichtenmodell aus mindestens zwanzig Ebenen übereinander Dokumente, Protokolle, Zeitschriften, Notizen. Kaffee anzubieten, war nicht üblich.

Immer wieder: „Moment noch, dann habe ich für Sie (oder für dich) Zeit.“ manchmal ein Hinweis auf Höhergestellte, „das Ministerium hat eine dringende Anfrage, die Landesmedienanstalt macht Druck, die Bank braucht eigentlich bis gestern einen Finanzierungsplan.“

Irgendwann gab er seinem Bürostuhl eine Vierteldrehung. Besonders bei Frauen drapierte er sich, Beine gespreizt, Steiß etwa auf der Stuhlkante, Bauch herausgestreckt, Hände hinterm Kopf verschränkt. Ein Strahlen zog auf. Die Kandidatinnen beugten sich etwas vor, senkten den Kopf und beobachteten ihn. Fast aus dem Liegen, schaute er aus halb geschlossenen Lidern. Würde die Achse nicht gekippt sondern vertikal verlaufen, schaute er von oben auf sie herab.

Was macht Sie (dich) eigentlich so sicher für die Aufgabe geeignet zu sein?“

Zog in dem Gesicht der Bewerberin Furcht auf, lachte er auf und beruhigte. Männern versuchte er erst einmal zu zeigen, wo der Hammer hing, bezeugte aber, wenn sie Fähigkeiten vorzuweisen hatten, Respekt. Zu große Frauen hatten schlechte Karten. Frauen mit oder unter seiner Körpergröße stellte er gerne als persönliche Assistentinnen ein. Sie mussten ihn, wenn er auswärts seine Projekte verfolgte, begleiten, Termine vor- und nachbereiten und seine Korrespondenzen führen. In der restlichen Zeit durften sie sich mit Radio-machen beschäftigen. Insgesamt gab es viele Bewerbungen oft eine, zwei die Woche.

Die Chefsekretärin überschaute die Termine des Managers. Sie strich ihre grauen Löckchen und tat so, als seien Geldangelegenheiten mit dem Radio-Lotte-Personal ihre Angelegenheit. Er hängte sich nur gelegentlich bei passendem Publikum rein. Manchmal zog er auf Anhieb das passende Dokument aus genau der richtigen der zwanzig Schichten Papierablagerung heraus. Das passierte, statistisch gesehen, etwa jedes zwanzigste Mal. Dann jauchzte sie und kreischte: „Wie er das nur immer macht, der Manager!“ Sonst stritten sie meistens.

Zwei Praktikantinnen, noch zwei Jahre vor dem Abitur, saßen ganz hinten unter einer Dachschräge. Man konnte sie leicht übersehen. In einem vorformulierten Brief mussten sie jeweils nacheinander eine Adresse aus einer Liste eintragen, einen Text nach Anleitung vervollständigen und das Schreiben versandfertig machen. Er sprach die eine, als die andere gerade unten beim Nachrichtenschnitt zu tun hatte, an: „Eure Anrede und euer Gruß in dem Brief ist viel zu persönlich. Ihr müsst mehr Abstand einhalten.“ Er kratzte sich und schaute zu mir. „Wie soll ich euch das denn erklären? Also! Ihr geht doch schon manchmal abends aus, oder?“

Die Praktikantin zögerte, stockte.

Na, ihr werdet doch abends ausgehen in eurem Kaff!“

Sie gab es widerwillig zu.

Und Ihr habt doch bestimmt auch schon Freunde?“

Sie druckste.

Ihr habt doch Freunde. So zum ausgehen, schwätzen, weiß ja nicht, was ihr sonst noch alles mit euren Freunden macht. Habt ihr Freunde?“ Ohne abzuwarten fuhr er breit grinsend an mich gewandt fort: „Es gibt da so manches, was man mit seinen Freunden machen kann.“

In die Enge getrieben, „Die Nicole hat einen Freund.“, denunzierte das junge Mädchen ihre Freundin, die gerade unten war. Triumph, Beifall heischender Blick zu mir, „Bitte!“ Ich hob mahnend die Hand.

Der Manager, ohne den Blick von mir abzuwenden, „Die redet ihr ja schließlich auch nicht in der Möglichkeitsform an. ,Könntest Du … , würdest Du … usw. Seid froh, dass ich es bin, der euch eure Fehler zeigt. Später einmal im Beruf kommt Ihr nicht unter einer Abmahnung davon, wenn nicht sogar einer Kündigung. Ich meine es nur gut mit euch.“

Nachdem sie gegangen waren, fühlte ich vor, „Also mit den zwei kleinen Praktikantinnen. Wenn ich da was merke!“

Der Manager sprang auf. „Da ist gar nichts. Ich bin doch nicht blöd. Die müssen erst volljährig sein. Ich habe einen Beruf, das mach‘ ich mir doch nicht kaputt. Da ist nichts.“

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