Später Nachmittag, ein Studiointerview mit dem Rektor der Uni ist verabredet, der Programmdirektor, Ottmar Schmieling, streicht vorbei. „Wenn der kommt, dann stellste mich bitte vor!“
„Klar, versteht sich!“
Ein Klingeln, Begrüßung, Handschlag. Die Uni hatte ein Jubiläum gefeiert. Ich spiele auf sein Alter und das Alter der Uni an, Gelächter. „Herr Zimmermann, darf ich vorstellen unser Programmdirektor, Ottmar Schmieling!“
Der Rektor, schon mit einem Fuß im verglasten Gehäuse des Studios, zerstreut: „Ah ja, ja! Guten Tag! Herr …“
„Ottmar Schmieling ist mein Name. Guten Tag Herr Rektor, Professor Dr. Ing. Zimmermann!“
„ … ja Herr Schmieling. Guten Tag!“ und er schob sich im Studio auf Sendung eingestellt auf einen Hocker vor einem Mikrofon.
Ottmar Schmieling war um sein Renommee bemüht. Eine intellektuelle Plaudertante aus Schriftstellerkreisen, ehemals Szenegröße am Prenzlauer Berg, sie hatte öfter mal mit Heiner Müller gesoffen, hatte ihn zu einem einstündigen Gespräch in ihre Abendsendung eingeladen. Weder bei Themen über Literatur noch bildende Künste stieg er ein. Er hielt sich im Hintergrund.
Sie fragte: „Sie kommen doch aus Nordrhein-Westfalen? Etwa aus dem Ruhr-Pott?“
Auch das bemühte er sich flach zu halten.
Hinterher maulte er. ‚Ich hab doch extra gesagt, das mit dem Wessi, das lassen wir draußen. Jetzt identifizieren die mich alle mit dem Ruhrpott. Wie Scheiße ist das denn!’ Es war zu spät.
Er hatte sich zugelegt, nicht etwa, ‚Ist das denn nicht Scheiße?, oder ,Oh, wie ist das Scheiße!’ zu sagen oder ,geil‘ oder ‚cool’ oder einen jeweiligen Trendausdruck. Er sagte: ‚Wie geil ist das denn!’ oder cool oder crazy. Ganz unbekannt war die Wendung nicht. Irgendwo war sie schon einmal in der Art zu hören gewesen. Nach kurzer Zeit in der Redaktion jedenfalls tönte es von allen aus allen Richtungen: ‚Wie geil ist das denn!’ ‚Wie doof ist das denn!’ ,Wie cool ist das denn!‘ usw.
Er hatte eine athletische Figur, Halbglatze, war mittelgroß. Zwischen gewölbten Wangen und Stirn in einer Schattenfuge versenkt, grüne Augen. Das städtische Schmuckkästchen, das als Funkgebäude diente, hatte in der ersten Etage zu einem zentralen Platz hin einen Balkon über die gesamte Fassadenbreite. In der Redaktion musste schon aus sendetechnischen Gründen, das Studio war miserabel schallgedämmt, Ruhe herrschen. Deshalb diente dieser Ort draußen im Freien zum Rauchen und Quatschen.
Schon von weitem war unten der Programmchef, wie er sich über den Platz dem Stadtradiogebäude näherte, zu sehen. Ein Gang aus der Hüfte, als hätte er einen Pfennig eingeklemmt. Sein hängender Kopf pendelte in Nachdenklichkeit versunken. Eine zeitweilige Redakteurin stampfte auf und jauchzte. „Ich werd’ verrückt. Sieh doch nur, wie der geht! Wie sexy ist das denn!“ Ihre Augen liefen über.
Ich hatte sie gerade erst überzeugt, bei einer Radionovela mitzumachen. Sie hatte mein vorläufiges Konzept und einen ersten Text gelesen. Der Titel: Marie Louise – Cellistin aus Leidenschaft. Geplant waren etwa dreiminütige Beiträge. Sie sollten aus immer gleichen Teilen bestehen: ein einleitender Standardtext mit kurzer Erkennungsmelodie, ‚Was bisher geschah’. Ein kurzes Dialogzitat aus der letzten Folge. Dann eine Stimme, die den Strang einer vielfach verflochtenen Story knapp erzählt. Dann Handlung in direkter Rede auf eine Situation hin zusteuernd, in der sich ein Konflikt, der einem das Blut gefrieren lässt, anbahnt. Unheimliches ist zu erwarten. Dann der Cliffhanger und das Obligatorische: ‚Mehr darüber erfahren Sie in der nächsten Folge.’ Der übergestülpte Plot: Marie Louise ist als Musikerin eine Naturbegabung. Um an der Musikhochschule studieren zu können, muss sie aus bäuerlichen Verhältnissen vom Land in die Stadt ziehen. Ihre Mutter ist erkrankt. Marie Louise hadert mit sich. Sie lässt sich nur auf deren Wunsch hin überzeugen. Ihr Vermieter stellt ihr gespielt freundlich nach. Er verfolgt Strategien, sie mit Einsatz von technischen Finessen heimlich zu fotografieren. Ihre Freundin, eine Bratscherin, intrigiert in der Hochschule gegen sie. Ihr Freund ist ein verträumter Künstler usw.
Marie Louise sollte von dieser zeitweiligen Redakteurin, die neben mir auf dem Balkon stand und deren Blick sich in die Erscheinung des Programmchefs bohrte, gesprochen werden. Ihre Stimme hatte ein Vibrieren, das einen wider Willen gefangen nahm. Ich hatte versucht, ihr zu erklären, dass Trash, jenes Label unter dem Kitsch derzeit liefe, ein Stilmittel wäre und sich quasi selbst aufheben könnte. Ich leitete diese Theorie von den Arbeiten von Jeff Koons und Damien Hirst oder von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez her. Sie hatte mir mit großen Augen zugehört. Darin enthaltene Signale einer insgeheimen Zuneigung zu suchen, hatte ich verworfen. Ich hatte es als Zeichen des Einverständnisses gewertet.