Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.2 Ottmar Schmieling Kommunikation 5

Die Gleisanlage für einen Vorortzug stellte zwischen Stadt und Weimar West, wo ich wohnte, eine Zäsur her. Wohnstraßen endeten hier. Auf der anderen Seite begann in Sichtweite ein in sich geschlossenes Soziotop mit eigener Erschließung.

Zwei baugleiche Schleusen, U-förmige Zwangsführungen aus Rundrohren, auf beiden Seiten der Bahngleise wiesen auf den Übergang hin. Radfahrer stiegen ab, um zu schieben, Rollstuhlfahrer mussten manövrieren und Fußgänger sind mit Hüftschwung und zwei, drei Wechselschritten in entgegengesetzter Richtung durchgekommen. Die Schienen überqueren passierte auf eigene Sicht und Verantwortung. Auf der anderen Seite bildete eine angeböschte und mit Verbundbetonsteinen gepflasterte Fläche, gesäumt von halbhohen Dornenbüschen, eine Art stadträumliches ,Foyer‘ des Viertels, eine Begrüßungsgeste an die Ankommenden, die Spätaussiedler, die Resozialisierten, die Invaliden, die alleinerziehenden Mütter mit ihren Kindern, die Rentner, die Schwerbehinderten, auch hier und da ein arbeitsloser Intellektueller darunter und andere Außenseiter und Mitglieder vergessener Randgruppen.

An dem Geländer der Schleuse auf der Siedlungsseite hing mit den Kniekehlen ein etwa gerade eingeschulter Junge kopfüber. Er betrachtete mich aus seiner Umkehrbild-Perspektive, wie ich mich dem Rohrgestänge näherte. Ein Mädchen daneben plapperte auf ihn ein:

„Von der Nicole ihrer Freundin die Oma die war Schließerin im KZ bei den Frauen.“

„Ehrlich?“

„Ja“

Der Junge stieg ab, stellte sich aufrecht: „Boaa, voll krass. äihh!“

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