Ost-West-Diskussionen waren out, kein bisschen sexy mehr, Schnee von gestern. In deutschen Lehrplänen wurde das Thema ‚DDR’ auf sechs Stunden im Geschichtsunterricht beschränkt. Laut Umfragen wurde in Familien im Osten die
ehemalige Konfrontation in einer bipolaren Welt mit mehrfachem nuklearen Overkill nicht mehr am Esstisch oder bei anderen Gelegenheiten diskutiert. Honecker, das war so ein Kanzler wie Kohl, Hitler oder Bismarck. Der hätte halt, war unter den jungen Leuten die Ansicht, ähnlich wie Hitler mehr zu den Bösen gehört.
Warum nicht als zugezogener Wessi mitten in den Komplex Wende hineingehen? Dass es Tom nichts anginge, könnte keiner im Ernst behaupten. Er hatte bereits zum Jahrestag des Falls der Mauer, wen er aus seinem Umfeld dafür gewinnen konnte, zur Wende interviewt. Diesmal, ein Jahr später, zur deutschen Einheit, beschloss er, mit den Offiziellen, die über die politische Macht verfügt hatten, zu reden. Er arbeitete drei Fragenkomplexe aus. Um die Interviewten vergleichen zu können, stellte er jedem sinngemäß die gleichen Fragen:
1.)Wer hat den Anstoß zu dem Umbruch gegeben? Welche gesellschaftliche Gruppe hat sich formiert? Wann fingen sie damit an?
2.)Welche Entwürfe, Illusionen waren mit der Wende verbunden, wurden 89-90 geträumt? War es eine friedliche Revolution oder war es eine kapitalistische Konterrevolution? War der Einigungsvertrag ein Vertrag auf Augenhöhe?
3.) Ist der Sozialismus historisch widerlegt? Besteht noch ein Ost-West-Gegensatz? Welcher Impuls in welche Richtung wurde mit der Einigung gegeben? Welche Ausblicke gibt es?
Tom interviewte:
– den ehemaligen Oberbürgermeister, einen promovierten Literaturwissenschaftler. Er war stellvertretender Bürgermeister gegen Ende der DDR und wurde im November 89 vom ‚Runden Tisch’ zum amtierenden Bürgermeister bis zu den Kommunalwahlen im Juli 1990 berufen. 1994-2006 amtierte er offiziell als Oberbürgermeister
– den Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Er war nach der Wende ins ‚Neue Forum’ eingetreten. Danach mit dessen Ende schloss er sich ‚Bündnis 90–die Grünen’ an.
– den aktuellen Kreisvorsitzenden und Stadtrat der ‚Linken’. Er war 88 in der Kreisleitung der SED.
– einen Pfarrer, gleichzeitig Supervisor. Er war Autor einer Chronik über die Wende und über einen verstorbenen Vorgänger, der die Rebellion gedeckt hatte.
– eine Pressedramaturgin zu DDR Zeiten am Deutschen Nationaltheater DNT, 89 im ‚Neuen Forum’, heute freiberufliche Theaterpädagogin und Projektmanagerin im Kultursektor, außerdem Leiterin des Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus.
Die Witwe des verstorbenen Pfarrers hatte zugesagt, sich an der Diskussion zu beteiligen, hatte aber wenige Tage zuvor abgesagt.
Der Kreisvorsitzende der SPD erschien trotz Zusage nicht. Die CDU hatte abgesagt, wurde allerdings auch nicht energisch genug aufgefordert. Zum 3.Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, so bereitete Thomas Crossmann alle Interviewpartner vor, sollte eine Podiumsdiskussion mit allen Beteiligten stattfinden.