Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.2 Ottmar Schmieling Kommunikation 21

Morgens gegen zehn Uhr auf dem Weg in die Redaktion pflegte ich, den Tag zu sichten. Wen galt es anzurufen, aufzufordern, anzufragen? Wer wird sich voraussichtlich melden? Wohin musste ich unbedingt gehen? Wie lange würde ich brauchen?

Immer häufiger, es wurde fast schon zur Regel, wurde mein Elan, sobald ich die Redaktion betreten hatte, gedämpft. Ich stand vor komplett besetzten Arbeitsplätzen. Meine Frage, ob vielleicht demnächst etwas frei würde, wurde vage beantwortet. „Wenn der und der da wäre und der sich telefonisch gemeldet hätte dann vielleicht so etwa in einer Stunde …“ Ich protestierte, ergriff aber insgeheim gerne die Gelegenheit, den Tag in einem kleinen Café angehen zu lassen. Wenn erst einmal ein Thema ins Auge gefasst worden war, formte es sich bei Gebäck und Kaffee viel besser als in der Redaktion. Unter den Blätterteighörnchen waren die mit Vanillecreme oder die ungefüllten die besten. Ich schaute im Antiquariat vorbei. Wen ich auch traf, jeder wusste, dass ich beim Radio arbeitete.
„Ich hab’ dich im Radio gehört.“
Der Satz konnte verschieden gewertet werden, die Nuancen machten es. In der Redaktion wies ich gerne darauf hin, dass ein Lob des Programmdirektors, des Chefredakteurs oder der Kollegen wenig bedeutete. Die Leute im Funkhaus  vernebelten gerne ihre Wahrnehmung durch die Illusion, sie bewegten sich in einem geschlossenen Universum. Draußen vor den Empfangsgeräten saß das Publikum. ‚Stell doch mal bitte was anderes ein oder mach wenigstens leiser‘. Sie urteilten erbarmungslos.
Radiomachen bedeutete im Äther vor Zuhörern zu kommunizieren. Die Fähigkeit zeigte sich auch im realen Raum. Tennessee hatte zu einer Versammlung von Förderern des Stadtradios spontan frei geredet. Interessierte hatten sich eingefunden. Sie standen unschlüssig herum. Es war voll. Sie erwogen bereits wieder zu gehen. Tennessee leitete sie in andere Räumlichkeiten um. Seine Ansprache war weder lang, noch besonders komplex. Er musste Aufmerksamkeit herstellen, danken und begrüßen, den Zweck des Abends herleiten und die Änderung erläutern. Er erledigte die Aufgabe schlicht und wie selbstverständlich.
Ottmar Schmieling ‚moderierte’ auf einem alljährlichen Volksfest, eine Art Rummel in der Innenstadt. Das Stadtradio hatte an einem Platz gegenüber der Stadtkirche einen Stand und eine Bühne gestellt. Er sagte die Bands an und füllte Pausen mit Geplauder. Das ganze wurde live übertragen. Ich hörte ihn zu Hause, nicht ohne Neid auf seine Fähigkeit, vor vielen Menschen den richtigen Ton zu finden. Das kam mit den richtigen Betonungen, ohne ‚Ähhs’ und ohne zu stottern.
Seine Stimme beschallte, wie ich wusste, den gesamten Platz. Es täte ihm leid. Er müsste sich verabschieden. Er hätte ein Ticket für ein Fußballspiel ‚Herta gegen Schalke‘ am selben Abend in Berlin. Inhalte für die Moderation aus dem Stegreif zu finden und zu bewerten, war eine zweite Sache. Seine Schwester hätte ihm den Besuch des Spiels vor einer Weile zum Geburtstag geschenkt. Er selbst nannte Moderationselemente dieser Art, glaube ich, ‚Personality‘. ‚Ab und zu muss man ein bisschen Personality einbringen‘. Er tröstete. Morgen würde er wieder am frühen Nachmittag um vierzehn Uhr zur Extra-Sendezeit des Stadtradios zu diesem Volksfest kommen, um zu moderieren, schallte es quer über den Platz und in die Rundfunkgeräte der Stadt.

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