Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.2 Ottmar Schmieling Kommunikation 12

Einfach nur zu schimpfen, half wenig, hatte Gabi herausgekriegt. Sie musste das ganze Pack, ohne Nachsicht walten zu lassen, verklagen. Alle wollten etwas von ihr.

Die Arschlöcher belogen und betrogen sie. Ihre Gäste saßen mittlerweile bei Kerzenlicht in der ‚Blauen Rose’. Das hätte sie nun davon, klagte sie. Sie kündigte das Leertrinken der Kneipe bis zum letzten Tropfen an. Eines Vormittags waren Fenster und Türen zur Straße hin über und über mit der Kreide aus dem Stift, mit dem sie sonst das Essen auf einer Tafel ankündigte, beschriftet. ‚Es gibt auch noch Gesetze’ stand da quer auf dem Fenster, ‚Ich lass mir doch nicht alles gefallen’ ‚Erst die Miete, dann die Kosten für die Mülltonnen‘, ,Was soll denn noch alles passieren.’ ‚Passen sie auf, Herr Immobilienhändler’ ‚Ich habe lange genug gewartet. Jetzt ist Schluss.’ ‚Keine Hoffnung mehr.’ usw. usw. Parolen, Drohungen, Enttäuschungen. Der Sound war Gabi.
Ein Gärtnerhäuschen in einem städtischen Park wurde einst von Gabi mit anderen zusammen als Kneipe geführt. Wer damals nachts unterwegs gewesen war, war irgendwann dort gelandet. Das Haus hatte eine Terrasse gehabt. Nicht weit entfernt das Freibad. In einer Sommernacht war eine Studentin beim Sprung vom Zehnmeter-Turm verunglückt. Danach war kontrolliert worden. Die Polizei kam überfallartig. Bei so einer Aktion hatte ein großer Teil der nachtaktiven Schwimmer Hals über Kopf die Flucht ergriffen. Um Klamotten anzuziehen oder auch nur danach zu greifen, war keine Zeit geblieben. Sie waren aus dem Dunkel des Parks auf der Wiese vor dem Gärtnerhäuschen aufgetaucht. Francis, ein Student aus Zimbabwe, ein ständiger Gast Gabis stürmte vorneweg. Sie alle fanden Zuflucht. Die Nacht war warm. Bongos begannen einen Rhythmus vorzugeben, einer setzte sich ans Klavier, ein Saxophon zog Melodielinien. Die Kneipe geriet in Schwingung. Alle tanzten, wie sie waren. Je mehr getanzt wurde, desto mehr wurde getrunken. Manche zogen sich in die Flora des Parks zurück. Bezahlt wurde morgen oder übermorgen oder so.
„Weißte noch, wie das war? Die Stadt hat uns gebeten, das Häuschen zu räumen. Das Haus sei dringend sanierungsbedürftig. Überlassen Sie es uns! Danach können Sie in ein komplett modernisiertes Haus mit komfortablen Toiletten und einer automatischen Heizanlage einziehen.’ OK! Wir waren so blöd und haben uns darauf eingelassen, aber von wegen, Pustekuchen! Nachdem die Baumaßnahmen beendet waren, ham ’se die Gärtner einziehen lassen und heute bewahren ’se darin Pflanzen zum Überwintern auf.“
Keiner der Gäste hatte, bis der Bau wieder hergerichtet war, warten wollen. Gabi hatte die ‚Blaue Rose’ übernommen. Die Meute war mitgekommen oder woanders hingezogen. Jetzt besann sie sich wieder der Herkunft ihrer Kneipe. Sie zog kurzerhand zum Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Stadtrat. Kommunalwahlen waren in Sichtweite. Der kannte sie als Wirtin, war schon zu Gast. Man müsste mal sehen, was sich da mit dem Gärtnerhäuschen machen ließe. Gabi, die heilige Johanna der Gelegenheitstrinker. Ich präsentierte sie im Stadtradio. Auch bei den Grünen hatte sie ein Gespräch mit einem Landtagsabgeordneten. Außerdem kannte sie einen Redakteur der Lokalzeitung. Um sie in ein Live-Interview zu schicken, hatte sie eine zu große Klappe, ich produzierte das Gespräch vor. Es war ein Erfolg. Sie schimpfte wie ein Bierkutscher und flötete wie die verkörperte Unschuld eines Engels des Bacchus-Tempels. Anschließend machte ich mir Vorwürfe, ich hätte sie vorgeführt. „Ach was!“ haben sie mich beruhigt. Ich hätte ihr nachgegeben, ich hätte sie nicht gedrängt. Sie wäre schließlich auch zur Lokalzeitung gerannt. Die Politiker stiegen tatsächlich für kurze Zeit auf sie ein. Zufahrt und Parkplätze hätten gebaut werden müssen, umfangreiche Sanitärinstallationen, Kosten von circa einer Viertelmillion. „Lass nur!“ meinte sie und klopfte sich auf ihre üppige Brust, „Ich hab’ meine Leute. Da ist der Schweizer Fabrikant. Den musste doch auch mitgekriegt haben! So ein Blonder mit Brille, der hat mit Plastik beschichtete Fenstergriffe und so Türangeln und so Zeug hergestellt. Ein ganz Lieber!“ Sie blickte gen Himmel, ließ ein Stöhnen entweichen. Ich hatte keinen Schimmer, wen sie meinte. Ich traf sie im Park, wie sie ihr Projekt photographierte. Sie sprach, ohne den Blick von dem Gärtnerhäuschen zu wenden. „Für die Schweiz, verstehste!“

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