Kurt hatte die Wende in Dresden und Berlin erlebt. Ich verabrede mich mit ihm abends in einer Kneipe zu einem Gespräch, das ich aufgezeichnet habe.
Die Wende – das hat sich ja irgendwann einmal angekündigt. Da hast du gemerkt, eben ist was im Busch. Und dann hat ’s ’n Knall getan, dann ist die Staatsmacht gekippt und dann war ’ne neue Situation gegeben. Diese drei Phasen, wie hast du die erlebt?
Die erste Phase die hab‘ ich natürlich in Dresden erlebt. Da bin ich hier mit ‚m Drechsler und seiner Frau auf die Straße gegangen, wir wollten auf ‚m Bürgersteig gehen und die hat gesagt, ,Nein, wir gehen auf die Straße!‘ An jeder Ecke hamm wir überlegt, welche Richtung gehen wir, bis wir dann die richtigen Straßen gegangen sind. Das war Dresden.
Das war ’ne große Demonstration?
Die ist dann entstanden. Wir war’n in der ersten Reihe und nur durch die Frau, – wir sind auf ‚m Bürgersteig gegangen – die hat eben gesagt, ,Das Volk geht nicht auf ‚m Bürgersteig, das Volk geht auf die Straße!‘ Da hamm wir uns das getraut. Das war die Dresdner Zeit. Aber den Tag der Wende hab‘ ich in Berlin erlebt und richtig volle Kanne in Berlin erlebt.
Jetzt sprichst du über den 9.November?
Über den 9.November red‘ ich. Da war hier in Berlin. Im Kino ‚International‘ wurde der Film gezeigt, da war Premiere: ‚Coming out‘. Das war der erste Schwulenfilm der DDR und der letzte Schwulenfilm der DDR. Da hat Dagmar Manzel mitgespielt, da war ich eingeladen, war Manfred Krug da, alle möglichen Leute, und während des Films ist die Mauer aufgebrochen. Die Dagmar Manzel selber, die hat am Deutschen Theater gearbeitet und die kam nach dem Film und hat gesagt, die hat auf der Bühne gestanden und hat in dem Zuschauerraum gemerkt, dass eine Unruhe auftaucht. Die hat die ,Maria Stuart‘ gespielt in dem Moment und nach der Pause ist eine Unruhe entstanden, es knisterte bis auf die Bühne. Die kam zu uns, nach dem Film und hat gesagt, die Mauer ist auf. Und wir kamen gerade aus der Premiere, wo wir Charlotte von Mahlsdorf sahen als Bardame. Gudrun Okras war da.
Wer ist Charlotte von Mahlsdorf?
Charlotte von Mahlsdorf war hier die Gründerin. Das war der erste Transvestit hier in der DDR, der dann irgendwie nach der Wende dann so als Stasi-Mitglied dann so geoutet wurde. Aber der hat die Bardame gemacht, der war so anerkannter Transvestit. Vor dem Kino ‚International‘ war dann ’n Bus. Ich saß neben ihr. Mir kam’s vor, als wär ich in dem Film noch völlig drin. ‚S war ja nun wirklich ’ne totale Sensation. Der erste und wirklich der einzige Schwulenfilm der DDR. Da wurden wir dann in den Bus rein gesetzt. Die Premierenfeier war in dem ‚Burgfrieden’. Das war die einzige anerkannte Untergrund-Schwulenkneipe in Berlin Schönhauser Allee. Und alle, die im Film da waren, waren im Kostüm da, also alle so, die ganzen Transvestiten Ostberlins, alle Schwulen, alle in sexy Outfit, du warst genau in dem Film drin, wie in diesem Woody Allen Film, ,Purple Rose of Cairo‘, wo der Held dann von der Leinwand hinunter ins Publikum steigt.
Genauso war es. Wir hamm alle gegrüßt, Barbara Dittus, weil wir se alle aus dem Film kannten. Und gegen zwei, um drei kam dann das ZDF und fragte: „Was sagen Sie dazu, dass die Grenzen auf sind?“ Es war so ungeheuerlich, war total ungeheuerlich, dass ich nur noch sagen konnte, mir war selbst so, als wär Rosenmontag, aber ich hab‘ gesagt, Aschermittwoch kommt irgendwann.
Und bist Du dann auch mal auf die andere Seite gegangen an dem Tag?
Sofort. Es war ja an der Bornholmer Straße, der Übergang. Da waren LKWs da mit Anhängern, wo Polizei drauf stand, wo du den Ausweis hochgehalten hast, wo die ’n Stempel drauf gemacht haben. Und ich dachte jetzt kommste in eine totale Glitzerwelt nach Westberlin. Es glitzert, glitzert, glitzert. Und dann dacht‘ ich, es ist Budapest. Also da war ’n auch so Müllhalden. Kurfürstendamm hab‘ ich mir anders vorgestellt. Dann erzählte jemand, dass sie über ‚en anderen Übergang gegangen sind, Invalidenstraße. Der war total tot. Und da sind die Leute drüber gegangen und es war ’ne totale tote Straße. Und da hat ‚en alter Mann ‚en Fenster aufgemacht und hat gesagt, „Ist der Krieg wieder ausgebrochen?“ weil so viele Leute drüber, an seinem Zimmer vorbei gegangen sind. Es war ein ganz einsamer Mann. Und auf einmal gingen da tausend Leute an seinem Zimmer vorbei. Und der dachte der Krieg ist ausgebrochen.
Und gab’s dann auch noch was Erfreuliches in der Folge?
Hm
Auf der Westseite?
Auf der Westseite, hm. Na ja, ich hab‘ erst mal nach den Sex-Kinos geguckt. Und du hast alles geschenkt gekriegt, erstmal. Und hast erstmal wieder versucht das Englisch aufzubessern. Es war eine völlig euphorisierte Situation. Du hast einfach mal 48 Stunden nicht geschlafen. Nur durch die Straßen gerannt und es war wirklich eine euphorisierte Situation und das Leben brach wieder auf. Du hast dich um zwanzig Jahre jünger gefühlt.