Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.1 Gründer (20)

Es geht nicht um die Flammen. Die überwiegende Anzahl der Menschen verunglückt durch Rauchentwicklung.“

Karlheinz ist in seinem Element. Jamal, ein Freund und Architektenkollege aus dem Sudan, und ich haben vor einer Pizza gesessen und haben ihn, als er hereinkam, dazu gebeten. Karlheinz, als Bauingenieur, hat mit Hilfestellungen Jamals in Sprache und Beziehungen zur afrikanischen Behörde einen ziemlich windigen Auftrag in Ägypten an Land gezogen.

Die verbrennen nicht, die kippen mit Rauchvergiftung um.“

Und verbrennen dann … “ werfe ich ein, „ … die Reihenfolge dürfte wohl ziemlich egal sein.“

Nein, Quatsch, das hat Bedeutung und wie! Pass auf!“

Wenn er solche rhetorischen Imperative setzt, lässt er gerne seinen Zeigefinger vorschnellen. In der Anfangszeit, noch als Partner in einer Arbeitsgemeinschaft mit mir, hat mir Karlheinz regelmäßig den ,Kapitalismus‘ erklärt. Er hat allerdings, ein allgemein üblicher Begriffswandel, ,Marktwirtschaft‘ gesagt. Sein Zeigefinger ist dabei zu einem Instrument für syntaktische Überhöhungen geworden. ,Wir leben in der Marktwirtschaft, mein Freund, da wird gekämpft!’ Einsatz Zeigefinger. Er hat gerne in die Brustgegend gestochen. ‚Ich kann Dir sagen, da wird gekämpft und zwar mit harten Bandagen!’ Erneuter Stichversuch. Zum Glück hat er jetzt im Sitzen neben Jamal keine Chance. Karlheinz siezt Jamal.

Stellen Sie sich vor, die Hütte brennt im Erdgeschoss und im Treppenhaus, Sie sind im 1.OG. Sie denken, besser wird es ja bestimmt nicht, ich sollte lieber mal jetzt als später, wenn mir die Flammen um den Kittel züngeln, die Flucht runter zum Ausgang riskieren.“

Jamal bestätigt, „Da ist was dran, na klar, würde ich versuchen.“

Falsch! Was meinen Sie, wie lange Sie in einem brennenden Raum, in dem Falle im Treppenhaus, bei Sinnen blieben?“

Bis zum Ausgang, eine Etage tiefer könnte es noch reichen.“

Karlheinz pariert, „Denkste! Nach etwa zehn Sekunden steigt der stärkste Mann aus. Mehr geht nicht. Und dann wird es schwarz vor Augen und dann …“ Karlheinz lacht, … „wird er selbst langsam schwarz, also wenn er nicht, so wie Sie, ein Neger ist.“

Karlheinz haut sich auf den Schenkel, kann sich kaum noch halten. Er merkt nicht, dass er alleine lacht. Jamal sagt ‚Tschuldigung’, steht auf, zeigt aufs Clo. Karlheinz ist in Fahrt: „Also die Dusche, die du erwähnt hast, die hätte Deinem Russen gar nichts genutzt.“

Ich senke die Stimme: „Die Bemerkung mit dem ,Neger‘ eben, die war daneben.“

Karlheinz braust auf: „Wieso? Was soll das denn? Also ich habe gelernt: Neger, laut Duden, jedenfalls Duden-Ost, dunkelhäutiger Bewohner Afrikas. Und dann stand dahinter in Kursivschrift: Schimpfwort ‚Nigger’ und ‚Nigger’ hab’ ich ja schließlich nicht gesagt.“

Kann ja sein, im West-Duden ist das vermutlich auch nicht anders gewesen, aber solche Bezeichnungen aus der Sklavenhaltergesellschaft sind einfach nicht mehr zeitgemäß.“

Karlheinz winkt voller Ärger ab. „Was du dir mal genauer angucken könntest, sind die Bedingungen der Versicherung. Wenzel hat Auflagen gekriegt in Bezug ‚Erhaltung historischer Dachstuhl’. Verstehste! Jetzt hat der n’ heißen Abriss und kriegt darüber hinaus auch noch Entschädigung. Du kennst den Wenzel nicht. Würde es die Marktwirtschaft nicht geben, der hätte sie bestimmt erfunden. Der überlässt doch nichts dem Zufall.“

Halt mal die Luft an! Der Wenzel hat früher die Auslandsreisen der Studenten und überhaupt des Hochschulpersonals einschließlich Professoren gecheckt.“

Na und?“

Wenn das nicht Stasi war, aber innerster Zirkel!“

Was glaubst denn du? ‚türlich war ’s das.“

Na dann war der der doch überzeugter Genosse und damit glühender Feind des kapitalistischen Systems.“

Der hat den Kapitalismus so genau studiert, dass er jetzt, da er die Chance bekommen hat, seinen eigenen Vorteil daraus zieht. Verstehste! So musste das sehen!“

Wie auch immer. Du glaubst jedenfalls auch an Brandstiftung?“

Karlheinz nickt. Mangels Stichmöglichkeit klopft er mit seinem Zeigefinger auf den Tisch. „Das Dämmmaterial waren Platten aus Kork. Das heißt brennbar. Der Wenzel wollte da für den künftigen Käufer, einen Gastronomen, einen auf biologische Baumaterialien machen. Die hat er bestimmt günstig gekriegt. Aber du darfst dir das nicht so vorstellen, dass man da nur mal kurz ein Feuerzeug dran halten müsste. Nach DIN 4102-1 ist das Zeug Baustoffklasse B1, das heißt trotzdem ‚schwer entflammbar’. Da musst du schon ganz schön einheizen, bevor das Zeug Feuer fängt.“

Karlheinz empfängt Jamal, der wieder zurück kommt: „Jamal, darf ich Sie einmal etwas fragen. Ich habe gerade zu Ihnen ,Neger‘ gesagt. Dieser Tom hier hat behauptet, das wäre beleidigend. Ich habe gelernt, ,Neger‘ nennt man einen dunkelhäutigen Bewohner Afrikas und das sind Sie ja. Nur ,Nigger‘ wäre beleidigend. Aber ich habe ja nicht ,Nigger‘ sondern ,Neger‘ gesagt.“

Jamal beschwichtigt, nickt, das sei schon in Ordnung.

Karlheinz präsentiert ein breites „Siehste!“

Karlheinz nimmt ein Bier entgegen, bestellt Pasta carbonara, bittet aber, sie erst, wenn seine Verabredung eingetroffen sei, zu bringen. Karlheinz prostet und führt weiter die verschiedenen Immobiliengewinne Wenzels aus. Er rechnet vor, mit welchen Winkelzügen er die Versicherung auch weiterhin wird austricksen können, „Der ist Marktwirtschaftler durch und durch. Du wirst sehen, der spielt auf allen Registern. Immer mit harten Bandagen, sag ich Dir, mein Freund.“ Zeigefinger auf Tischplatte.

Ich deute an, dass ich das Problem gerne im Radio behandeln würde. Karlheinz selbst lehnt jedes Interview ab und erklärt, „Weißt du, Tom, Wenzel ist zwar Bauingenieur, aber außerdem ist er Immobilienspekulant und Bauträger. Da hält man sich lieber im Hintergrund im Schatten. Das ist anders als bei Kaufleuten, für die ein Auftritt im Radio Werbung bedeuten kann.“

Ich möchte ja auch nicht nur über dessen bauliche Aktivitäten berichten.“

Was denn sonst?“

Ein Arbeiter, ein Ukrainer ohne Papiere, ist umgekommen.“

Ach so, ja, natürlich.“

Karlheinz hatte sich von mir, ohne dass es ausgesprochen worden wäre, getrennt. Wir hatten einen gemeinsamen Auftrag von Wenzel angenommen gehabt und hatten zu diesem Zweck eine Arbeitsgemeinschaft, so richtig mit Vertrag beim Anwalt, gegründet. Ich hätte ganz mit seiner Zuverlässigkeit gerechnet.

Wir hatten uns bereits im Westen kennen gelernt. Wir waren beide freie Angestellte in einem Großbüro, geleitet von einer Partnerschaft aus einem Bauingenieur und einem Architekten. Karlheinz kam morgens als einer der Ersten, abends war er bei den Letzten. Im Büro trug er Hausschuhe aus Filz. Wochenenden bedeuteten für ihn, entweder, was ungefähr alle drei Wochen vorkam, nach drüben zu seiner Familie im Osten zu fahren oder genauso wie in der Woche zu arbeiten. Der Chef kam wie immer, nachdem er das Büro betreten hatte, zunächst durch die Reihen seiner Mitarbeiter. Es war Sommer. Karlheinz hatte schwitzend mit roter triefender Nase am Zeichentisch gesessen. Sein Gesicht war angeschwollen, seine Augen tränten. Der Chef blieb vor Karlheinz stehen.

Was machen Sie denn da?“

Ich mache einen Standsicherheitsnachweis für den Gebäudeteil C.“

Wann muss das denn fertig sein?“

Ich weiß nicht, ich glaube in vierzehn Tagen.“

„ … und warum machen Sie das jetzt?“

Ich mache, was mir gesagt wird.“

Na gut, dann sag’ ich Ihnen mal was: Sie lassen jetzt alles fallen, gehen nach Hause, legen sich ins Bett. Ich will Sie hier erst wieder, wenn Sie kerngesund sind, sehen.“

Das Projekt mit Wenzel hatte ich zusammen mit Karlheinz über alle Leistungsphasen bis hin zur Schlüsselübergabe festgezurrt. Trotz der wasserdichten Verträge hatte sich Karlheinz zusätzlich bei Wenzel, dem Bauherrn, angedient. Er hatte die Ausführung alleine ohne mich und ohne Planung für ein festes Gehalt übernommen. Der Auftrag war nach und nach davon geschwommen. Karlheinz hatte beschwichtigt, hatte vorgegeben, weitere, viel lukrativere Aufträge für mich akquirieren zu können.

Bei einem Termin mit Wenzel, ich saß im Flur vor seinem Arbeitszimmer und glotzte vor mich hin. Wer am längeren Hebel saß, soviel hatte ich schon gelernt, ließ den anderen warten, das gehörte zum Ritual. Karlheinz wurde mit dem kurzen Hinweis an mich, ,Herr Crossmann, ich kümmere mich gleich um Sie’, in Wenzels Zimmer gebeten und wurde, was Wenzel klar gewesen sein musste, wahrscheinlich hat er es beabsichtigt, vor meinen Ohren beispielhaft zusammen gebrüllt. „Von einem Mitarbeiter wie dir wird man doch wohl erwarten dürfen, dass er die VOB wenigstens kennt… usw.“ Die VOB, die ,Verdingungsordnung für Bauleistungen‘, aus der er die große Affäre machte, ist selbst für Juristen immer wieder problematisch.

Karlheinz wendet sich abrupt zur Eingangstür. Der Chef eines Vermessungs- und Bodengutachterbüros hat das Lokal betreten. Auf Karlheinz‘ Gesicht erstrahlt ein breites Willkommenslächeln.

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