Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.2 Ottmar Schmieling Kommunikation 40

„Was man hier verdient, das darf man keinem erzählen. Man steht als der totale Loser da.“ Ottmar Schmieling hatte die Zeit seiner Mitarbeit befristet. Tom hatte noch die letzte Erbfolge vor Augen. Nicht noch einmal ein Programmchef, der, nachdem er seine Nachfolge verkündet hat, das Weite sucht.

Tom mochte die Tätigkeit beim Stadtradio. Er geriet ins Schwärmen über die Übertragung des Neonazi-Aufmarschs im Frühjahr. Das Stadtradio hatte, wie er meinte, seine Mittel entfaltet, Berichterstattung aus verschiedenen Blickrichtungen, Spiegelungen auf vielen Ebenen. Dieser Nachhall der Nazi-Verbrechen in den Köpfen der Stadt. Neonazis, Rassismus, die Geschichte des Dritten Reichs, die Entwicklung nach dem Krieg, herunter projiziert auf Erscheinungen an diesem Ort. Er konnte sich darüber abends im Gespräch mit Philipp, der seit kurzem wieder in der Stadt war, hinein steigern. Die Radioempfänger und die Boxen der Anwohner hatten das Programm des Stadtradios in den Straßenraum geblasen. Ganz so, wie dazu im Radio aufgefordert worden war, hatten sie in den Fenstern entlang der Ausfallstraße gestanden. Aus einem akustischen Nebel heraus hatte sich, realisiert und provoziert durch das Stadtradio, der öffentliche Protest artikuliert.

Das Stadtradio an sich als basisdemokratisch zu bezeichnen, war vielleicht nicht ganz korrekt. Philipp wurde immer ziemlich schroff, wenn Tom die Sprache darauf lenkte. ‚Wie soll ein Radiosender demokratisch sein?’ Radioarbeit müsste nun einmal hierarchisch organisiert werden. Er hätte das bei den Radiostationen, bei denen er angestellt gewesen wäre, lernen müssen. Radio wäre schnell. Der Ablauf wie am Schnürchen, wäre das Qualitätsmerkmal. Da wäre kein Platz für Diskussionen und Abstimmungen. „Wenn neben dir eine Granate einschlägt, kannste auch nicht erst mal die Kampfeinheit zusammenrufen und beratschlagen, was man jetzt tun soll!“

Tom meinte nicht ausschließlich die Arbeit untereinander im Sender. Selbst da sollte von Zeit zu Zeit ein paar Minuten für eine kritische Überprüfung gefunden werden. Vielmehr bezog er sich auf den Dialog mit den Hörern. Diesen zu führen, setzte entsprechende Inhalte voraus. Informationen in einer Weise aufzubereiten, dass ein Wechselspiel mit dem Hörer nicht nur hergestellt, sondern auch dessen Rückmeldung provoziert werden konnte, erfordere im Sender untereinander eine Ausgeglichenheit, die jedes autoritäre Gehabe ausschließe. Das Stadtradio solle zur Basis, auf die sich ein städtischer Diskurs stützen könne, werden. Derart miteinander verbunden, könne dieses städtische Medium auch Entscheidungen außerhalb des Radios selbst anstoßen. Sie würden für jeden sicht- und hörbar in aller Öffentlichkeit stattfinden. Somit könnten sie sich weder gegen die Allgemeinheit richten noch zu deren Manipulation oder Unterdrückung dienen.

„Wie in der antiken griechischen Stadt die Agora, die Schnittfläche von Polis und Oikos – von Politik und Ökonomie – gibt das Radio den Ort an, wo sich die Geschäftsleute mit Bürgern um Grundstücke, um Preise und Steuern streiten, wo die philosophischen Schulen miteinander wetteifern, während Müßiggänger Zoten austauschen, Musikanten engagieren, trinken und über die Passanten lästern. Das Stadtradio, als immaterieller Ort im virtuellen Raum mit allen Qualitäten einer Agora. Nicht zuletzt Homer hat, wollte er einen Stadtstaat als eine Form der Barbarei, als Herrschaft der Willkür kennzeichnen, ihn als einen Staat ohne Agora dargestellt.“ Tom vertrat seine Visionen für ein Stadtradio mit Vehemenz, am liebsten gegen Mitternacht im Nero.

Er bediente sich kurzerhand, um damit alle im Radio Beschäftigten erreichen zu können, des Verteilerschlüssels aus den Emails des Programmchefs. In einem Aufruf leitete er seine Forderungen aus dem bisherigen Stand der Dinge ab. Er stufte die Führung von Ottmar Schmieling, vor allem erkennbar an den Veränderungen gegenüber dem eher feudalen Stil seines Vorgängers und Gründers, als vorteilhaft für den Sender ein. Diese Tendenz sei allerdings nur der persönlichen Ambition Ottmar Schmielings geschuldet und könne mit jeder Nachfolge wieder aufhören oder sich gar in ihr Gegenteil verkehren. Ottmar Schmieling, ebenfalls Empfänger der Email, muss diese Herleitung geschmeichelt haben.

Erst nach und nach hat ihn wohl irgendetwas gewurmt. Er hat, wie gewöhnlich, jeden Mittwochnachmittag mit Manager und Chefredakteur hinter verschlossenen Türen getagt. Alleine bei dem Versuch, eine Auskunft einzuholen, ist schon nach einer leichten Bewegung der Tür „Sitzung! Später!“ gebrüllt worden und einer hat die Tür von innen zugedrückt. Genau diesen Umstand, zum Beispiel, hat Tom kritisiert. Er predigte immer wieder, dass das Stadtradio nach außen vermitteln sollte, dass es das Radio der Stadt sei. In jeder Frage sollte Transparenz hergestellt werden. Die Voraussetzung dazu war, dass auch im Innern jedem Mitarbeiter jede Information zugänglich sein sollte. Sitzungen sollten selbstverständlich nicht unterbrochen werden dürfen, aber doch grundsätzlich öffentlich sein. Verschlossene Türen dürften nur bei Tonaufnahmen aus technischen Gründen und bei diskreten Informationen von privaten Informanten zugelassen werden.

Tom wurde eines Mittwochs von Ottmar Schmieling ziemlich schroff zu einer Sitzung in das Programmchef-Arbeitszimmer gebeten.

Der Programmchef baute sich auf einer Seite auf. Rechts von ihm saß der Chefredakteur, ‚Tennessee’, und links neben ihm der Geschäftsführer, genannt ‚der Manager‘. Ihnen gegenüber wurde Thomas Crossmann platziert.

Ottmar Schmieling leitete ausführlich her, wie Tom, ohne ihn oder einen seiner Beisitzer gefragt zu haben, über die Köpfe der Führungsebene hinweg alle Mitarbeiter über das Internet angeschrieben hatte. Darin befand er ein schweres Vergehen. Die zwei Beisitzer wiegten die Köpfe. Die in Toms Schreiben aufgeführten Argumentationen ließ er außer Acht. „…Eigentlich ist es bei uns nicht ausdrücklich so vorgesehen, aber in jedem anderen Betrieb wäre an dieser Stelle eine Abmahnung ausgesprochen worden. Bitte betrachte auch dies hier als etwas in der Art.“

„Das ist nicht wegen deinen Inhalten. Das ist wegen der Email und der ganzen Sache.“ Tennessee brachte seine Überlegung hervor, als sei sie eine Entschuldigung. ‚Der Manager’ war angeschwollen. Er schien, um nicht unkontrolliert in Siegesgeheul auszubrechen, all seine Disziplin aufbringen zu müssen.

Tom entgegnete „Wir hier sind ein Bürgerradio. Andere Betriebe haben ein Betriebskapital und Arbeitgeber und Arbeitnehmer.“

„Das haben wir auch.“, entgegnete Ottmar Schmieling.

„Und wer sind die Arbeitgeber?“ „Wir drei hier sind die Arbeitgeber!“

Tom merkte, wie in kurzer Zeit einer nach dem anderen von der Angelegenheit unterrichtet worden war. Man vermied direkte Gespräche mit ihm, Blickkontakte wurden flüchtig. Er wurde gerade eben noch geduldet. Auf sein Rundschreiben war keiner eingegangen. Nur Fred und Phillipp sprachen ihn im Nero an. In der Redaktion bekundeten zwei oder drei hinter vorgehaltener Hand ein: „Also, beinahe hätte ich ja in der Redaktionssitzung was dazu gesagt. Das hat mich ja so aufgeregt. Also, ich war wirklich ganz kurz davor, was zu sagen.“

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