Der Ministerpräsident, der Universitätsrektor und der Institutsleiter standen vor etwa fünfhundert geladenen Gästen zur Einweihung eines Instituts für neue Technologien im Bauwesen. Ich betrat den Saal von der anderen Seite. Ich überschaute die Situation, startete durch, ging vor aufs Podium, führte kurze Wortwechsel
mit dem Ministerpräsidenten und dem Rektor und bat den leitenden Architekten zu einem Gespräch beiseite. Das Angebot, ein Mikrofon in das Gesicht eines Prominenten zu strecken, wurde als Serviceleistung ähnlich wie die Begrüßung durch einen Oberkellner in einem Toprestaurant begriffen. Ich verstieg mich zu immer forscheren Auftritten.
Die Stadt hatte ein Informationszentrum eingerichtet. Sie nannten es ‚Planungscafé’. Einen Nachmittag lang konnten Bürger im Stadthaus an großen runden Tischen Planern beim Erläutern ihrer Verkehrspläne für die Innenstadt zuhören und Fragen stellen. Ihre Zweifel oder Proteste, wurde versprochen, sollten abgewägt und in die Planung aufgenommen werden.
Ich kannte diese Art von Zauber. Ich hatte schon lange genug städtebauliche Projekte, wie Gemeindeentwicklungsplanungen oder Innenstadtsanierungen, mit Bürgerinformationsveranstaltungen und allem drum und dran bearbeitet. Ich selbst hatte Frage und Antwort in dem Falle zu den Plänen des eigenen Büros gestanden. Sogar als Mitglied einer Bürgerinitiative hatte ich schon Planer-Kollegen von der anderen Seite her in die Zange genommen.
Ich ging auf den Oberbürgermeister zu, bat, zwei drei Fragen stellen zu dürfen. Der OB wusste, wer weiß woher, schon Bescheid, wer ich war. Er hieß Wolf. Ich holte aus: „ … Herr Oberbürgermeister Wolf, Sie haben heute hier im Stadthaus ein neues Modell vorgestellt. …“ – indem ich mit ihm sprach, geriet ein leichtes Vibrato in meine Stimme. Ich behielt ihn im Auge. Wir standen uns eng gegenüber, das brachte schon die Länge meines Arms beim Halten des Mikrofons mit sich – „ …Wird das in Zukunft auch bei Bebauungsplänen oder Grünplanungen die Regel werden?“
Der Bürgermeister zählte die Bauvorhaben der letzten fünf Jahre auf, die ich allesamt nicht parat gehabt hätte. Er beschrieb die Informationsveranstaltungen, die parallel dazu gelaufen waren. Man könnte wirklich nicht von neuem Modell sprechen. Ich setzte erneut an. Ich merkte dabei, wie sich das Vibrato in meiner Stimme auf ein Zittern in meinem Handgelenk, mit dem ich das Mikrofon hielt, übertrug. Er hielt den Blickkontakt. Auf die kurze Distanz, sah ich im Auge des Oberbürgermeisters, dass er das Zittern meiner Hand bemerkte. Es hatte seinem eigenen Blick eine Irritation gegeben. Für einen Augenblick wich er, ein Zeichen von Takt, kaum merklich aus. Ich langte auch mit der anderen Hand nach dem Mikrofon und krampfte das leichte Teil zweihändig vor dem Mund des Bürgermeisters.
„ … anders gefragt: Ist diese Veranstaltung geeignet, die Bürger zu informieren, Transparenz in kommunalpolitischen Entscheidungen herzustellen oder suchen Sie eher Anregungen und Wünsche des Bürgers, also eine Art Partizipationsmodell?“
Der Oberbürgermeister lächelte mild. Bei Bauplanungen oder Grünplanungen formierten sich die Bürger meist in großen Gruppen, die Mehrheiten seien eindeutig. Bei Verkehrsplanungen dagegen teilten sie sich meistens in zwei oder mehrere Lager. Man könnte nie so genau wissen, wer mit welchen Argumenten auf ihn zukäme. In diesem Falle wäre seine Aufgabe, zuzuhören.
Ich sah ein, er gebrauchte keine Finte. In dem was er sagte, war kein Hinterhalt versteckt.
Bei der Bearbeitung merkte ich, dass mein Vibrato viel verhaltener kam, als ich befürchtet hätte. Die ,Ähhs‘ zu entfernen, erforderte Zeit. ‚Planung’ hatte ich – meine Güte – als ‚der einzig mögliche Zugriff auf die Zukunft, der uns zur Verfügung steht’ erklärt. ,Antizipation’ war oft gekommen. Korrekturen am Ausdruck gab’s nicht. Ich hatte nur das, was das Aufnahmegerät hergab, im Computer. Nur Weglassen war möglich. Morgen musste der Beitrag über den Äther gehen, Rückzug ausgeschlossen. Immerhin hatte der Oberbürgermeister auch ein paar ‚Äähs’ platziert. Einige Satzfragmente waren zwischendurch im Nirwana verhallt. Ich brachte es in Form. Ich wusste, ich war Anfänger. Ich würde es so lange sein, wie ich vermied aufzuhören anzufangen.
Vier Monate später im Herbst auf einem Volksfest hat mir der Oberbürgermeister unter einer Kolonnade hinter einer Säule aufgelauert. Ich bin gedankenverloren vorbei gestrichen. Er ist mit vorgestreckten Armen und gespreizten Hände vor mich gesprungen und hat mich angebellt. Ich bin zusammengefahren vor Schreck. Wir haben uns beide ausschütten müssen vor Lachen.