Le Lotte nella Radio di Weimar – Kap.3 Sylvias Hauptrolle 20

Zweite Januarwoche, ein Anruf von Mahmud, Palästinenser und Vorsitzender des städtischen Ausländerbeirats: „Thomas Crossmann, Du musst uns helfen, wir haben übermorgen ‚Interkulturelles Neujahrsfest’ in der Weimarhalle.

Unsere Moderatorin ist ausgefallen. Bitte, mach du das! Zweihundert können wir anbieten. Mehr ist nicht drin. Beim besten Willen! Alles steht, hundert Termine sind fest gelegt, nur die Moderation, an der alles hängt, ist ungewiss. Bitte mach du das! Mir fällt sonst niemand ein, der das moderieren könnte.“

„Ausgerechnet übermorgen, da hab’ ich schon einen festen Termin, lange verabredet, verstehst du. Aber ich will sehen, was sich machen lässt. Kann nichts versprechen. Ist ’s in Ordnung, wenn ich in ’ner Stunde zurückrufe?“

„Ja.“

„Ach übrigens, wenn ich das moderiere, will ich euch nur das Fest retten. Ich wäre bestimmt nicht böse, wenn du auf die Schnelle noch jemand anderen fändest.“

Tom steht, starrt ins Leere. Er hält sein Mobiltelefon in Gesichtshöhe, lässt den Arm fallen und geht auf und ab. Er bleibt stehen, hebt es, durchdringt mit einem Raubvogelblick die Tastatur, dreht auf einem Fuß und lässt die geschlossene Hand in die Pendelbewegung hinübergleiten, die das Auf- und Abgehen mit sich bringt. Vor dem Fenster versinkt er in eine Meditation. Er löst sich mit einem Ruck und wählt Phillips Nummer. Keiner meldet sich. Er wiederholt die Aktion ein paar Mal. Phillip nimmt ab. Tom schildert die Lage und versucht zu überzeugen.

„Grenzen uff! Na klar! Aber doch nicht, dass reinkommt wer will! Antalya im Sommer ist ok, aber Türken hier – das muss doch wirklich keiner haben! Kennst es ja! Xenophobie oder lokale Borniertheit! Mahmud und der Kreis um ihn herum geben sich Mühe, mit der Veranstaltung die Karre wenigstens ein paar Zentimeter aus dem Dreck zu ziehen. Da muss etwas gemacht werden.“

Phillip weigert sich. Wie zu erwarten war. Er hätte im Radio gelernt. Sobald man ihn nicht nur hören sondern auch sehen könnte, verlöre er jede Sicherheit. Visuelle Wirkung in einem öffentlichen Aktionsfeld gehörte grundsätzlich nicht zu seinem Repertoire. Mit Moderationen auf Bühnen hätte er nichts zu tun.

„Du weißt, dass die Veranstaltung stattfinden muss. Du bist ja schließlich auch dafür. In so einem Falle findet sich die Form von selbst. Die Notwendigkeit prägt die Form.“

Phillip merkt die Finte und kehrt die Argumentation um. Tom könnte es ja machen. Seine Weigerung aufgrund mangelnder Übung läuft auf dieselbe Koketterie mit Unfähigkeit heraus. Tom merkt es selbst. Im Grunde hatte er nichts anderes erwartet. Er ruft Mahmud an und sagt zu.

Er erklärt, dass er das Programm, die Hintergründe, die Nationalitäten der Interpreten und Künstler, die Inhalte brauche. Kein Problem, da gäbe es einen, der würde sich mit ihm in Verbindung setzen. Der meldet sich nicht und ist auch sonst nirgendwo aufzutreiben.

Tom hat kein passendes Jackett. Das, was er hat, reinigen zu lassen, würde, heute ist Freitag, mindestens bis Montag dauern. Er hat noch knapp 100 €. Bei C&A sind kurz nach der Jahreswende die Preise reduziert. Schwarz, reine Baumwolle, es sitzt einigermaßen. Am Samstag findet er sich am frühen Nachmittag in der Weimarhalle ein. Abends soll die Show stattfinden. Das Jackett hat zu kurze Ärmel. Er hat sich ein Päckchen Karteikarten gekauft. Name der Gruppe, Namen der Mitwirkenden, Nationalität, Hintergrund des Lieds, des Tanzes, der akrobatischen Show. Texte, um überzuleiten, einzuleiten, zu verabschieden. Die Karteikarten, verdeckt in der Hand gehalten, sind unauffällig. Er überträgt. Es wird ein ganzer Stapel Karteikarten. Er ordnet sie in der vorläufigen Reihenfolge der Auftritte. Wird ohnehin noch ein paar Mal umgestellt werden müssen. Es ist so weit. Er muss raus.

Eintausend-vierhundert Gäste. Die Halle ist voll, ausverkauft. Schon hinter dem Bühnenvorhang hat er beobachten können, wie es sich füllt. Der Raum wird abgedunkelt. Das Gemurmel erstirbt. Er geht in fahler Beleuchtung acht Meter, die entscheidenden Meter, vor bis ans Mikrophon. Ganze Batterien von Scheinwerfern flammen auf ihn gerichtet auf. Gleißendes Licht blendet. Mit der Hand vor Augen kann er nur links oben, ganz hinten auf dem Balkon Leute erkennen, wie sie sitzen und zuschauen.

„Ein Begriff mit X: ‚Xenophobie‘“ Enorme Akustik, jede einzelne Silbe tönt aus allen Ecken der Halle. Das neue Jahr, die guten Vorsätze, unsere Kultur. Das Publikum scheint auf ihn einzusteigen. Er setzt eine Mimik in die Scheinwerferflut, als hätte er ein Gegenüber. So müsste es sein. Er kann hören, dass es funktioniert. Es kommt nicht darauf an, das Publikum wie bei einem Vortrag mitzureißen, sondern, ohne sich in den Vordergrund zu spielen, von Attraktion zu Attraktion zu geleiten. Er sagt den Oberbürgermeister an, beobachtet, wie er es macht, danach die Ausländerbeauftragte, dann kommt das erste Stück.

Als eine Attraktion der Show steht die ‚Tropical Samba Show’ von drei Brasilianerinnen auf dem Programm. Er kündigt sie an, springt zur Seite, und weist, wie verabredet, zur Begrüßung auf den Bühneneingang.

Nichts geschieht. Alarm! Jetzt vor allen Dingen nicht abkacken! Höchstspannung! Alles, was verfügbar ist, sammeln! Reserven zusammenhalten! Er geht zurück, nimmt, als wäre nichts, das Mikrophon. Die Ursprünge der lateinamerikanischen Musik gründen auf die Kultur der Indios … Bloß nicht den Redefluss abreißen lassen! … der Spanier, der Portugiesen und der Afrikaner. Er gewinnt Zutrauen zu der Automatik vorne in seiner Klappe. Er charakterisiert jede der beteiligten Ethnien. Ihr Stolz, ihr Temperament, ihre musikalische Tradition. In dem kulturellen Gemenge hat eine Gruppe auf die andere eingewirkt. Synergien haben die ‚Salsa‘ hervorgebracht. Sie ist über Lateinamerika geschwappt. In Brasilien ist die Variante ‚Samba‘ entstanden oder später der ‚Bossa-Tune‘. Es sprudelt weiter. Er beschreibt, wie dieser Groove nicht nur Tanz sondern generell Lebensstil geworden ist, wie er die populäre Musik überall in der Welt beeinflusst hat. Hinter ihm rauschen die Sambatänzerinnen mit gigantischen Federbuschapplikationen auf ihren kaffeebraunen Körpern ins Rampenlicht. d

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